Aus: Metzler Lexikon Kultur der Gegenwart, hrsg. v. R. Schnell, Stuttgart-Weimar 2000, S. 371-372; 454-456

 

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Beiträge zur Musikwirtschaft

 

Musikwirtschaft, jene Zweige der Volkswirtschaft, die sich mit der Produktion, Verwertung, Darbietung und Verteilung von  Musik befassen. Dazu zählen die Musikveranstaltungen (Konzerte, Musiktheater), die Tonträgerindustrie, Musikverlage, Musiksendungen (Hörfunk, Fernsehen), der Musikinstrumentenbau sowie der Handel mit Musikalien und Musikinstrumenten. Neben diesem Kernbereich kann man im weiteren Sinn zur Musikwirtschaft die Musikschulen, Diskotheken und teilweise die Produktion und den Vertrieb von Geräten der Unterhaltungselektronik, Bühnen- und Aufnahmetechnik rechnen. Rasch an Bedeutung gewinnt der Vertrieb von Musik durch das  Internet, der alle genannten Bereiche in ihren Vertriebsformen verwandelt (E-Commerce) und zu neuen Formen von Tonträgern geführt hat ( Schallplatte/CD). Man kann den Anteil der Musikwirtschaft auf ca. 1% der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung schätzen (Brod­beck/Hummel 1991). Der bedeutsamste Teil der Musikwirtschaft innerhalb der  Kulturindustrie ist die Produktion und der Vertrieb von Tonträgern, die »Musikindustrie« im engeren Sinn. Sie setzte in Deutsch­land im Jahre 1998 Produkte im Wert von ca. 5,3 Mrd. DM um. Hauptumsatzträger ist die  CD mit einer verkauften Stückzahl von knapp 200 Millionen. Der weltweite Umsatz mit Tonträgern beträgt knapp 40 Mrd. US-$; Deutschland ist nach den USA und Japan mit 8% Umsatzanteil der drittgrößte Markt.

Musik wird in vielen Formen zum Wirtschaftsgut: Als verkaufte Komposition (Noten), bei Live-Darbietungen (Konzerte, Musiktheater, Übertragungen im Fernsehen), elektronisch aufgezeichnet als Tonträger, Video oder Musikdatei für den  Computer. Von der erklingenden  Musik ist die musikalische  Information zu unterscheiden. Letztere findet als materiellen Träger traditionell den Notendruck. Die Möglichkeit der Musikaufzeichnung durch die  Schallplatte, die CD, die Musikkassette oder als Datei erlaubt die technische Verarbeitung der musikalischen Information und macht sie damit unmittelbar ökonomisch verwertbar. Allerdings ist es eine Eigentümlichkeit jeder Information, leicht kopierbar zu sein - bei Musiknoten durch die Drucktechnik, bei analoger elektronischer Aufzeichnung durch Tonband und MusiCassette, bei digitalisierter musikalischer Information durch die Speicher- und Übertragungsmedien der Informationstechnologie. Wirtschaftlich verwertbar ist die musikalische Information deshalb nur, wenn sie als »geistiges Eigentum« durch das Urheberrecht ( Copyright) geschützt wird. Die Verwertung des geistigen Eigentums an der Musik (Kompositionen und Arrangements) durch Rundfunk- und Fernsehsender oder den Theater- und Konzertbetrieb erfolgt in Deutschland durch die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte). Insofern rechnet man die Musikwirtschaft auch zur Copyright-Industrie, die nach unterschiedlichen Schätzungen etwa 3% der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung umfaßt.

Die Musikwirtschaft befand sich in ihrer historischen Entwicklung in einem unaufhörlichen Wettbewerb mit den Möglichkeiten der  Kopie musikalischer Information, bereits bei den Musiknoten durch unerlaubten Nachdruck. In den »goldenen Jahren« der Schallplatte (50er und 60er Jahre) fiel der Verkauf musikalischer Information mit dem Verkauf des Produkts  Schallplatte zusammen. Durch die Weiterentwicklung der magnetischen Aufzeichnungsverfahren, vor allem der billigen und einfach zu handhabenden Kassetten-Technologie, führte die Kopie musikalischer Information zur ersten Existenzkrise für die Musikwirtschaft. Die Einführung der obligaten Abgabe für Leerkassetten an die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) in Deutschland, die diese Erträge an ausübende Künstler umverteilt, konnte diese Entwicklung rechtlich normieren und die wirtschaftliche Verwertung sichern. Die digitale Aufzeichnungstechnik fand in der CD ein Medium, das durch seine technische Qualität, funktionale Einfachheit und ästhetischen Reiz die Analogie-Technik der Kassetten und die damit verbundenen Kopiermöglichkeiten zurückdrängte. Digitale Bandaufzeichnungsgeräte (z.B. das DAT-Format) wurden durch die von der Musikindustrie durchgesetzten vielfältigen Kopierschutzmaßnahmen verteuert und damit für ein breites Publikum unattraktiv. Zwei Innovationen heben diese gesetzlich normierte »Schutzzone« für die Musikwirtschaft tendenziell auf: Zum einen die Möglichkeit der einfachen Kopie von CDs durch CD-Brenner auf dem PC ( Computer), zum anderen neue Aufzeichnungsverfahren, die eine Datenübertragung per Internet erlauben (z.B. MP3). Die zuletzt genannte Entwicklung stellt für die gesamte M. eine gewaltige Herausforderung dar. Während im nationalen Rahmen gesetzliche Regelungen leicht möglich erscheinen, sind internationale Vereinbarungen schwer durchsetzbar und widerstreben dem Medium Internet. Die Globalisierung schleift auch hier die nationalen Festungen ordnungspolitischer Schranken ( Soziale Marktwirtschaft).

Auch andere Bereiche der M. werden durch technologische und ökonomische Faktoren dominiert (z.B. der Konzertbetrieb und das Musiktheater). Kreativität und Innovation in der  Popmusik zeigen unverkennbar die Spuren der jeweils verfügbaren Technologie, während sich die Produktion unmittelbar am Markterfolg (Charts) orientiert. Die Möglichkeit, über das Internet Musik weltweit fast kostenlos anbieten zu können, wird deshalb nicht ohne Wirkung auf die M. und die musikalischen Inhalte bleiben.

 

Lit: Shemel, S. / Krasilovsky, M. W., This Business of Music (1985). - Brodbeck, K.-H. / Hummel, M., Musikwirtschaft (1991). - Moser, R. / Scheuermann A. (Hg.) Handbuch der Musikwirtschaft (1997).

 

K.-H. B.

 

 

Schallplatte/CD, Tonträger, auf dem musikalische  Informationen aufgezeichnet werden; bei der S. durch ein elektrisch-analoges Verfahren, bei der CD durch  Digitalisierung. Die Speicherung des Tonsignals erfolgt bei der S. durch Vertiefungen bzw. bei der Stereo-S. durch seitliche Ausbuchtungen der Tonspur im  Material der S. ( Kunststoff). Das fest gespeicherte Signal wird durch eine Nadel (Saphir) abgetastet, deren Bewegung auf eine winzige Induktionsspule übertragen, verstärkt und über Lautsprecher wieder hörbar gemacht werden kann. Die Urform der S. wurde im September 1887 von dem Elektrotechniker Emil Berliner als US-Patent angemeldet, in Weiterentwicklung des Phonographen von T. A. Edison, dem es zehn Jahre zuvor gelungen war, Tonaufzeichnungen durch seinen Walzenapparat vorzunehmen. 1922 löste das elektro-akustische Aufzeichungsverfahren mechanische Verfahren ab. 1948 tritt an die Stelle von Schellack das Vinyl, und die Langspielplatte (LP) mit 30 cm Durchmesser und 33 1/3 Umdrehungen in der Minute kommt auf den Markt. Gleichzeitig entsteht die Single mit 45 Umdrehungen pro Minute und 17 cm Durchmesser. Die Stereo-S. wird 1956 eingeführt.

Die Aufzeichnungstechnik mittels Magnettonband (Magnetisierung eines mit Eisenteilen bestückten Kunststoffbandes) gewann erst durch die MusiCassete (MC) Bedeutung für breite Käuferschichten. Das 3,81 cm breite Band ist durch ein Kunststoffgehäuse geschützt und läuft mit 4,75 cm/s. Die Länge der Aufzeichnungszeit beträgt bis zu 120 Minuten. Im Unterschied zur S. ist die MusiCassette durch einfache Geräte (Kassettenrecorder) selbst bespielbar. Entwickelt und erstmals angeboten wurde die MC 1964 durch die niederländische Firma Philips.

Die CD (= Compact Disc), die 1983 von der Firma Philips in Zusammenarbeit mit Sony auf den Markt gebracht wurde, beruht auf einem digitalen Aufzeichnungsverfahren ( Digitalisierung). Das ursprüngliche Tonsignal wird hierbei durch einen binären Code (0 und 1) repräsentiert und kann wie eine  Information auf dem PC gespeichert und verarbeitet werden. Die digitale Information ist von der Amplitude des Tonsignals unabhängig und damit rauschfrei. Die CD ist ein plattenförmiges Speichermedium, das mittels Laserstrahl optisch abgetastet wird; sie hat einen Durchmesser von 12 cm. Es gibt auch Magnetbänder für digitale Tonaufzeichnung, z.B. das Digital Audio Tape (DAT 1986), das wegen einer Kopierschutzeinrichtung für breite Käuferschichten uninteressant, da zu teuer blieb ( Musikwirtschaft).

Der Erfolg der CD beruht nicht zuletzt darauf, daß im selben Format wie die Musik-CD Datenträger für den PC ( Computer) verwendet werden können (CD-ROM). Auf dem PC kann damit jede Art von Information ( Musik,  Text,  Bild) durch ein einheitliches Abspielgerät gelesen und (weiter)verarbeitet werden. In jüngerer Zeit hat sich durch den CD-Brenner eine ganz neue Möglichkeit ergeben, CDs auf dem Computer selbst zu bespielen. Auch die DVD (= Digital Vertile Disk) stellt eine Weiterentwicklung der CD dar, die zweiseitig bespielbar ist und mit einer vielfachen Speicherkapazität der herkömmlichen CD eine völlig neue Qualität der Bild- und Tonwiedergabe erlaubt. Eine weitere Revolution auf dem Tonträgermarkt zeichnet sich durch das Internet-Format MP3 ab. Sound-Files im MP3-Format tauchen seit 1998 im  Internet auf. Es handelt sich um bearbeitete Musikinformation, die nicht hörbare Töne eliminiert und somit die Größe des Files (= Informationspaket im Digitalformat) für das Internet übertragbar macht. Durch ein Abspielgerät können Musik-Daten direkt vom PC in den RAM-Speicher eines Abspielgerätes kopiert werden (Kapazität ca. zwei CD). Über das Internet übertragene Musikdateien können auch auf CD-Brennern direkt in Musik-CDs verwandelt werden.

Die Tonträgerindustrie ist ein erheblicher Wirtschaftsfaktor (à Musikwirtschaft). In Deutschland wurden bereits vor dem ersten Weltkrieg jährlich knapp 20 Millionen S.n verkauft. 1929 erreichte diese Zahl mit 30 Mio. einen vorläufigen Höhepunkt, der nach dem Zweiten Weltkrieg erst 1955 mit 31 Mio. verkauften S.n überschritten wurde. Die Vinyl-Technologie erreichte 1979 mit knapp 160 Mio. verkaufter S.n (Single und LP), die MC 1991 mit 78 Mio. Stück ihren Höhepunkt. Die Vinyl-S. ist inzwischen ohne praktische Bedeutung, MusiCasseten werden heute nur noch ca. 25 Mio. Stück jährlich verkauft. Einen Siegeszug trat die CD an, deren Produktzyklus 1997 mit 197 Mio. Stück den Höhepunkt erreicht haben dürfte. Weltweit wurden 1997 etwa 4 Mrd. Tonträger insgesamt verkauft.

Die S. hat auch den Konzertbetrieb und den Inhalt der Musikproduktion völlig verwandelt; die  Popmusik ist ohne S./CD undenkbar. Die S. ist nicht nur ein Aufzeichnungsmedium, das sich mit  Hörfunk und  Fernsehen in einer Ko-Evolution entwickelt hat, es wurde als »Album« oder »Single« in der Popmusik selbst zu einer neuen musikalischen Form. Ästhetisch ist die S. allerdings umstritten. Während z.B. Sergio Celibidache (1996 verstorbener Dirigent der Münchener Philharmoniker) der S. rundweg die Qualität absprach, »Musik« wiedergeben zu können, weil  Musik sich vom bloßen Klang auf S. unterscheide, meinte Glenn Gould: »Der Konzertsaal ist tot«. Tatsächlich kann der Hörer von Tonträgern Ort, Klang und Dynamik der Wiedergabe selbst bestimmen und wird so zum »Mit-Interpreten«. Durch massenhafte Verbreitung wird Musik auf Tonträgern zu einem allgegenwärtigen Phänomen in den Medien und im Alltag. Die Digitaltechnik eröffnet außerdem völlig neue Möglichkeiten der Nachbearbeitung von musikalischer Information (»Sampling«) und verwischt die Trennung von Musikproduzent und ‑konsument weiter. Musikalische Information kann heute jeder selbst auf dem PC erzeugen und per Internet weltweit anbieten. Ob daraus Musik wird, ist allerdings fraglich.

 

Lit: K. Blaukopf, Massenmedium Schallplatte (1977). - P. Zombik, Die Schallplatte: Kulturträger und Wirtschaftsfaktor; in: Media Perspektiven 7/87. - Brodbeck, K.-H. / Hummel, M.  Musikwirtschaft (1991).

K.-H. B.